120 Hunde leben in Vikis Tierheim im Süden Nordmazedoniens, mit ihrer Familie kümmert sie sich liebevoll um jeden einzelnen in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Tierschutz ist für Viki zur Lebensaufgabe geworden. Als sie klein war hat sie viel Schlimmes auf den Straßen gesehen, Menschen, die Hunde schlecht behandelt oder getötet haben. Das hat sie geprägt: „Ich wollte immer einen sicheren Platz für die Hunde haben, wo ich mich um sie kümmern kann, aber ich wusste, dass es nicht einfach werden wird“. 2017 hat sie sich zusammen mit ihrem Mann Alexander den Traum erfüllt und angefangen das eigene Tierheim zu bauen. Kaum fertiggestellt war es Big Archie, ein großer Kangal-Mix, der als erster Hund den Weg zu ihnen fand und einziehen durfte. Er hatte auf der Straße gelebt, offensichtlich Misshandlungen erlitten und hatte deshalb keine Chance mehr, ein neues Zuhause zu finden, zu prägend waren die Erlebnisse. Doch im neuen Tierheim von Viki konnte er seinen Frieden finden.
Es ist Anfang März, das Wetter ist angenehm und ich stehe auf einem Parkplatz mitten auf dem Land. Vom Flughafen in Skopje ging es ungefähr eine Stunde über hohe Berge Richtung Süden, für mich als bekennende Norddeutsche war das eine echte Herausforderung, aber jetzt bin ich froh hier zu sein und bin verabredet mit Vikis Mann Alexander. Er wird mich abholen, denn mit meinem Leihwagen, einem normalen PKW, kann man nicht direkt zum Tierheim fahren, zu unwegsam sind das Gelände und der Weg dorthin. So sitze ich kurz darauf das erste Mal auf der Rückbank eines Quads, halte mich gut fest und nehme gespannt die ersten Eindrücke auf. Bald höre ich die ersten Hunde und Alexander zeigt in die Richtung des Tierheims. Es ist der Auftakt von vier Tagen, die ich in diesem Land verbringen und Viki und ihre Familie mit meiner Kamera bei der Arbeit mit den Hunden begleiten werde. Ich bin hier im Auftrag einer Tierschutzorganisation, die Viki unterstützt in der Arbeit vor Ort, aber auch bei der Vermittlung der Hunde.
Als wir das Tor öffnen, kommen die ersten Vierbeiner freudig auf uns zu. Fast alle laufen hier frei, große, kleine, alte Hunde, nur die Welpen, die keine Mutter mehr haben, leben in einem extra Areal mit zwei Containern und einer Auslauffläche, das etwas leichter sauber zu halten ist. Hinter einem weiteren Tor öffnet sich uns der Innenhof mit Zwingern und einer großen Auslauffläche. In einer Ecke steht ein Wohnwagen als Stauraum für Werkzeug und andere Utensilien, überall finden sich kleine Hundehütten als Rückzugsorte und im Hintergrund brummt ein Generator, denn hier gibt es keinen Anschluss an das öffentliche Stromnetz. Strom wird aber gebraucht, für Baumaßnahmen, für Reparaturen und um fließendes Wasser für die Reinigung der Zwinger zu haben. Dazu reicht die Leistung noch, um auch Telefonakkus aufzuladen, was sehr wichtig ist für Viki, zum einen um erreichbar zu sein oder um Fotos und Videos für die Vermittlung der Hunde zu machen.
Für mich wird das Fotografieren und Filmen zu einer Herausforderung, denn immer, wenn ich in die Knie gehe, um mich auf Augenhöhe der Hunde zu begeben, bin ich umringt von einer Traube neugierger Hundenasen. Sie sind offensichtlich daran interessiert, was ich denn da so mache, aber eigentlich wollen alle nur ein paar extra Streicheleinheiten erhaschen. Sobald mit dem Abend die Ruhe eingekehrt, traut sich auch Big Archie aus seiner Hütte und ich habe die Chance, den sanften Riesen und sozusagen Mitbegründer der Tierheims näher kennenzulernen.
Es ist beeindruckend, was Viki und ihre Familie hier leisten. Alle helfen bei der Arbeit, der Mann, die beiden Kinder, ihr Schwager und auch mal die Schwiegereltern. Die Aufgaben nehmen kein fast kein Ende, füttern, reinigen, reparieren, bauen und ganz nebenbei sich auch noch viel Zeit für die Hunde nehmen. Es wird immer wieder geschmust und liebevoll mit ihnen umgegangen. Natürlich auch mal bestimmt, wenn ein Neuzugang Ärger macht, aber immer freundlich und respektvoll. Man merkt es den Hunden an, einer ist lieber als der andere.
Das ist bemerkenswert, wenn man die Umstände kennt, die einige von ihnen durchlebt haben. Wenn ich nicht im Tierheim bin, nutze ich die Zeit, um mir ein Bild von der Umgebung zu machen. In Vorgärten und Hinterhöfen entdecke ich überall angekettete Hunde. Die meisten sind zu dünn und man sieht weder Näpfe für Wasser noch für Futter. Ich erfahre, dass sie als Schutzhunde dienen, einer von ihnen bewacht die Tankstelle direkt neben meinem Hotel, ein großer Bardino-Mix. Erst bellt er, als ich mich ihm nähere, dann aber begrüßt er mich freundlich wedelnd und freut sich offensichtlich über die Gesellschaft und das bisschen Futter, das ich ihm anbiete. Ansonsten hat er nichts, auch kein Wasser und dass er jede Nacht bitterlich weint, scheint hier Niemanden zu stören. Ich werde fast wahnsinnig und würde ihn am liebsten einfach mitnehmen.
Unterwegs begegnen mir viele Straßenhunde, Viki erzählt von einer Mülldeponie, wo immer wieder Hunde ausgesetzt werden. Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg dorthin und schon als ich ankomme, werde ich von zwei Vierbeinern begrüßt, einem kleinen, der seinen Kopf ganz schief hält und einem großen, kräftigen. Die beiden scheinen einen Pakt geschlossen zu haben und sich ihrem Schicksal gemeinsam zu stellen. Auf jeden Fall teilen sie sich das Futter, gönnen dem anderen seinen Anteil, sie wirken wie ein vertrautes, altes Paar. Ich bin den Tränen nahe, als ich wieder fahre und sie mir hinterher schauend immer kleiner werden im Rückspiegel. Was für eine Zukunft haben die beiden?
Am nächsten Tag bin ich erst mit Viki im öffentlichen Tierheim der Gemeinde verabredet, wir treffen den Leiter der Anlage, der auch gleichzeitig der lokale Tierarzt ist und der uns das Shelter zeigt und die traurigen Seelen, die hier gestrandet sind. Denn einmal hier angekommen gibt es kaum noch eine Zukunft, es sei denn Viki nimmt ihn oder sie mit zu sich ins Tierheim. Sie hat es schon oft getan, aber sie kann leider auch nicht alle bei sich aufnehmen.
Dann müssen wir weiter, Viki hat am Morgen einen ausgesetzten Welpen gefunden, der seine Hinterbeine nicht mehr bewegen kann, mit ihm müssen wir zu einem Tierarzt, dessen Praxis mit einem Röntgengerät ausgestattet ist. Der Weg führt wieder über Berge in die nächste größere Stadt, fast bis an die griechische Grenze und ich konzentriere mich auf das Fahren, um nicht an die Abhänge zu denken, die sich teilweise neben uns auftun. Neben mir sitzt Viki und hält den kleinen, knapp zwei Monate alten Welpen im Arm, der mich mit großen Augen anschaut. Nach der Untersuchung lautet die Diagnose, dass jemand auf den kleinen Kerl geschossen hat, auf dem Röntgenbild kann man die Kugel erkennen, die noch im Bauchfett steckt. Wir sind fassungslos. Doch nachdem der Tierarzt bestätigt, dass der Kleine keine Schmerzen hat, nehmen wir ihn wieder mit. Er ist ein Kämpfer, will ganz offensichtlich leben und Viki will alles versuchen, damit er eine Chance hat. Sie nennt ihn Rei und in den ersten Tagen ging es ihm gut, doch dann entwickelte sich eine Sepsis und mit dieser schwanden die Chancen auf ein Überleben, also musste Viki schweren Herzens die Entscheidung treffen, ihn gehen zu lassen.
In dem ganzen Bild, das sich mir in den Tagen von der Situation der Hunde in Nordmazedonien zeichnet, kommt mir das Tierheim von Viki vor wie ein kleine Festung, in der sich die Familie mit Liebe und Fürsorge gegen die Rohheit mancher Menschen stemmt. Aber auch Viki kann nicht allen Fellnasen helfen und als ich sie am letzten Tag frage, was sie sich am meisten wünscht, sagt sie, dass die Menschen in Nord Mazedonien aufwachen. Die meisten seien immer noch gegen Kastration und Sterilisation, außerdem sollten sie aufhören, Hunde zu züchten und auszusetzen. „Alles, was ich mir wünsche, ist, dass jeder Hund ein Zuhause hat und nicht auf der Straße oder in einem Tierheim leben muss“.
Es ist unglaublich, was Menschen wie Viki und ihre Familie leisten, körperlich und seelisch. Diese Verantwortung für die rund 120 Hunde im Tierheim, die sie täglich versorgen. Dazu Geschichten wie die von Rei, die leider kein Einzelfall sind. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, für den sie jede Unterstützung gebrauchen können.
Hier sind weitere Eindrücke von meiner Reise:
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